"Diese bemerkenswerten Frauen bekämpften den IS. Zeit, dass Sie
sie kennenlernen." So lautete die Überschrift einer in der Oktoberausgabe
der Frauenzeitschrift Marie Claire veröffentlichten Reportage. "Es gibt
eine Gruppe von 7.500 Kämpferinnen, die seit zwei Jahren einen unberechenbar gefährlichen
Kampf führen. Trotz Verletzungs- und Todesgefahr kämpfen sie fast täglich. Sie
kämpfen mit Waffen, die schwerer und größer als sie selbst sind, gegen eine
unbarmherzige Armee. Und dennoch kämpfen sie weiter.
Sie sind die YPJ, die Frauenverteidigungseinheiten, allein aus
freiwilligen Frauen bestehende Kurdische Armeefraktion, 2012 in Syrien
gegründet, um die kurdische Bevölkerung gegen die tödlichen Angriffe vom
Syrischen Präsidenten Baschar Assad, der al-Nusra Front und ISIS zu verteidigen."
So oder so ähnlich hieß es in den
unzähligen Reportagen der Weltpresse über die "YPJ: Die kurdischen
Feministinnen, die den IS bekämpfen" (The Week). Kaum eine international
bekannte Tageszeitung, ein Magazin oder Nachrichtensender, die ihre Reporter in
den vergangenen Monaten nicht nach Kurdistan entsendet haben, um diese
'Amazonen des 21. Jahrhunderts' zu dokumentieren. Und so trug der Spiegel eine PKK-Kämpferin
mit Bazooka auf seinen Umschlag, während auf dem Cover der Newsweek eine
YPJ-Kämpferin mit festem Griff ihre Kalaschnikow hielt.
Das Phänomen der kurdischen Frauen, die mit Waffe gegen die
Terroristen des Islamischen Staats (IS) kämpfen, ist von der Weltpresse und
-öffentlichkeit zusammen mit dem IS-Angriff auf die mehrheitlich von Jesiden
bewohnten südkurdischen/nordirakischen Stadt Sindschar Anfang August 2014
entdeckt worden. Plötzlich wurde Kurdistan zum Mekka der Journalisten. Von
überall her pilgerten Reporter und Kamerateams ins unter IS-Beschuss stehende
Flüchtlingslager Maxmur, zu den GuerillakämpferInnen der PKK in die
Kandil-Berge, nach Sindschar und über die Grenze nach Rojava (Nordsyrien), wo
im September die Schlacht um Kobane begann.
Die Art und Weise der internationalen Berichterstattung über die gegen
den Islamischen Staat kämpfenden Frauen der YPJ und YJA-Star (Frauenarmee der
PKK-Guerilla) kann aus verschiedener Sicht erleuchtet und interpretiert werden.
Man mag beispielsweise untersuchen, wie die Kämpferinnen visuell portraitiert
werden, welche Eigenschaften von ihnen in den Vordergrund gerückt werden, mit
welchen Worten sie beschrieben werden usw. Dies soll aber nicht Anliegen dieses
Artikels sein. Vielmehr soll es hier um das gehen, was in der
Presseberichterstattung über die YPJ zum größten Teil ausgeklammert wird.
IS-Feminizid hat System
Aber zunächst einmal sollen an dieser Stelle einige Punkte
festgehalten werden: Überall auf der Welt hat sich vor allem mit der andauernden
Schlacht um Kobane ein großes Gefühl der Solidarität mit den YPG und
YPJ-KämpferInnen gebildet. In Dutzenden Ländern - von Afghanistan bis Südafrika
- haben Menschen deshalb am 1. November, welcher um Welt-Kobane-Tag erklärt
worden war, gegen die Angriffe des IS protestiert und sich mit dem Widerstand
der YPG & YPJ solidarisiert. Eigentlich reicht der Begriff Solidarität
nicht aus, um die Verbundenheit mit dem Widerstand von Kobane zu bezeichnen.
Hier ging es nicht mehr um bloße Unterstützung, sondern um ein Zu-Eigen-Machen
des Widerstands und einer Identifizierung mit den KämpferInnen, die in Kobane
nicht nur mit der Waffe gegen IS-Barbaren kämpfen, sondern zugleich auch
universelle Werte verteidigen.
Das Band der Schwesterlichkeit, welches zwischen den YPJ-Kämpferinnen
und den Frauen der Welt gehäkelt worden ist, besitzt solch ein universelles
Muster. Denn bei der Offensive der ‚Islamischer Staat‘ genannten terroristischen
Gruppe handelt es sich um einen Krieg gegen Frauen. Deshalb werden in
eingenommenen Ortschaften zuallererst frauenfeindliche Fatwas verhängt. Deshalb
wurden in Schingal Hunderte jesidische Frauen verschleppt und auf Märkten wie
Sex-Sklavinnen verkauft! Deshalb wurden unzählige kurdische Frauen von
IS-Terroristen vergewaltigt und geköpft.
Dieser durch die Barbaren des IS umgesetzte Feminizid hat System und
ist ideologisch begründet. In diesem Zusammenhang steht der IS für die
maskenloseste, extremste, gröbste Form von Patriarchat, Sexismus und
Feudalismus. Er steht für ein ideologisches Weltbild, in dem Frauen in keiner
Weise als Menschen mit Rechten und Freiheiten angesehen werden, sondern allein
einer Existenz als Sex-Sklavinnen nachkommen dürfen. Frauen als Objekt sind
dazu bestimmt, die sexuellen Bedürfnisse der Männer zu stillen. Dies ist ihr
einziger Existenzgrund. Die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle
'Ordnung' des IS gründet in diesem Zusammenhang auf Ausbeutung, Unterdrückung,
Versklavung, Macht und Herrschaft. Wenn wir den Kampf der kurdischen Frauen
gegen den IS und in diesem Zusammenhang die Angriffe des IS gegen und
Eroberungsversuche in Rojava verstehen möchten, dann müssen wir uns die
ideologische Gegensätzlichkeit vor Augen halten. Denn in Kobane prallen zwei
Ideologien, zwei Weltbilder, zwei Zukunftsvisionen aneinander. Die eine stellt
die Freiheit der Frau ins Zentrum, die andere ihre Versklavung. Bei der einen
handelt es sich um das patriarchale Paradigma, bei der anderen um
Frauenbefreiungsideologie.
YPJ: Vom Himmel gefallen?
Schaut man sich nun die Berichterstattung zu den YPJ-Kämpferinnen an,
kommt man schnell zu dem Schluss, diese Armee von jungen Frauen sei einfach vom
Himmel gefallen. Als hätten die Frauen in Rojava als Reaktion auf Angriffe
durch den Islamischen Staat einfach beschlossen, sich kurzerhand als
Frauenverteidigungseinheiten bewaffnet zu organisieren und dieser Idee hätten
sich dann innerhalb kürzester Zeit Tausende junge Frauen angeschlossen. Ein –
sagen wir – äußerst bequemer Erklärungsansatz.
Unbequem wird es nämlich, wenn Abdullah Öcalan und die kurdische
Freiheitsbewegung ins Spiel kommen. Abdullah Öcalan, war das nicht dieser
PKK-Chef mit dem Stalin-Schnäuzer? Dieser Terroristenführer, für den die Kurden
ständig demonstrieren? So das – vor allem in Westen - gängige montierte Bild.
Montiert, da dieses Bild dem Zweck der Kriminalisierung der kurdischen
Freiheitsbewegung dient und zugleich auch ein Ergebnis dieser ist. Will man
eine Befreiungsbewegung als gemeingefährliche, unzivilisierte, rückständige
Terroristen stigmatisieren, fängt man bei ihrem Führer, der die gesamte
Bewegung repräsentiert, dementsprechend personifiziert und zugleich auch
symbolisiert an.
Deshalb lautet an dieser Stelle die Frage: Wer ist Abdullah Öcalan?
Abdullah Öcalan, das ist der seit 1999 – als Resultat einer illegalen
NATO-Geheimdienstoperation – auf der Gefängnisinsel Imrali in der Türkei
inhaftierte Führer der kurdischen Freiheitsbewegung. Zusammen mit seinen
WeggenossInen hatte er in den 1970er Jahren die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK)
als erste gesamtkurdische sozialistische Befreiungsorganisation gegründet. Auf
seine Initiative hin hat ein Dialogsprozess mit dem türkischen Staat begonnen,
den es nun umzuwandeln gilt in offizielle Friedensverhandlungen.
Abdullah Öcalan, das ist zugleich auch Denker und gar einer der
wichtigsten unseres Zeitalters. Das Goldstück seines philosophischen Werks, das
Dutzende Bücher umfasst, bilden die Gefängnisschriften mit dem Titel
„Demokratisches Gesellschaftsmanifest“. Öcalan hat von Beginn an die nationale
Befreiung stets an gesellschaftliche Freiheit geknüpft und dies in seiner
Theorie manifestiert. Gesellschaftliche Befreiung wiederum spiegelt sich in der
Befreiung der Frau und in diesem Zusammenhang Überwindung von Sexismus,
Patriarchat, Macht- und Herrschaftsstrukturen wider. Aus diesem Grund haben die
Frauen innerhalb der PKK schon 1987 damit begonnen, sich separat in eigenen
Strukturen zu organisieren. Der Union der Patriotischen Frauen aus Kurdistan
(YJWK) folgte 1993 der Beschluss, innerhalb der Guerillabewegung eine
Frauenarmee aufzubauen und die Gründung der YAJK (Union der Freien Frauen
Kurdistans). Die Frauenguerillaarmee mit eigenen Strukturen, wie Kommandantur,
Hauptquartier, Ausbildungsakademien etc. besteht heute als YJA STAR (Freie
Fraueneinheiten STAR) in den Bergen Kurdistans fort.
Die Revolution ist weiblich
Der qualitativen und qualitativen Weiterentwicklung des kurdischen
Frauenbefreiungskampfs bis hin zur diesjährig gegründeten KJK (Gemeinschaft der
Frauen aus Kurdistan) als konföderalem System mit politischem, sozialem,
militärischem und ideologischem Standbein liegt eine stetige Vertiefung der
Frauenbefreiungsideologie zu Grunde. Die am 8. März 1998 proklamierte
Frauenbefreiungsideologie mit ihren 5 Prinzipien (Patriotismus, freier Wille
und freies Denken, Organisiertheit, Kampf, Ästhetik und Schönheit) war das
Ergebnis Abdullah Öcalans tiefgreifender Analysen von Mann- und Frausein sowie dem
Geschlechterkonflikt, wie er innerhalb der PKK ausgetragen wurde. Dieser
Annäherungsweise wiederum lag die Festlegung zugrunde, dass wahre Revolution
weiblich sein muss, d.h. dass eine Freiheitsbewegung immer und nur am
Befreiungs- und Organisierungsgrad seiner Frauen gemessen werden kann. Es wäre
nicht übertrieben, die kurdische Frauenbefreiungsbewegung – aus militärischer,
ideologischer und organisatorischer Sicht - als aktuell weltweit stärkste
Frauenbewegung zu bezeichnen. Diese aus interner Organisierung wachsende Stärke
hat innerhalb der kurdischen Freiheitsbewegung Geschlechterquoten unnötig
gemacht, sodass heute alle Positionen paritätisch besetzt und das Prinzip des
Co-Vorsitzes umgesetzt werden.
Die Revolution in Rojava als weibliche Revolution wird erst in diesem
Kontext verständlich. Wenn heute eine ehemalige Guerillakämpferin als
Co-Vorsitzende gemeinsam mit einem arabischen Stammesoberhaupt den Kanton
Cizire leitet, ist dies Ergebnis des Frauenbefreiungskampfes. Wenn es heute die
YPJ mit völlig unabhängiger interner Struktur gibt und sich ihr Tausende junge
Frauen anschließen, dann weil vor 20 Jahren in den Bergen Kurdistans
PKK-Kämpferinnen trotz aller interner und externer Schwierigkeiten und
Hindernisse unter Flagge der YAJK die weltweit erste Frauenguerillaarmee
aufgebaut haben. Erst in diesem Zusammenhang ist nachvollziehbar, wie es den
Menschen in Rojava möglich war, innerhalb von kürzester Zeit ihre eigenen,
autonomen Strukturen in allen Bereichen des Lebens und Kampfes aufzubauen.
Enttabuisierung der bewaffneten Frau
Kommen wir zu Schluss noch an das Geschenk der in Kobane Widerstand
leistenden YPJ-Kämpferinnen bzw. der Revolution in Rojava an die Frauen der
Welt: Die Tabuisierung der mit der Waffe kämpfenden Frau parallel zur Delegitimierung
des Selbstverteidigungsrechts der Gesellschaft gegen den Staat und Behauptung
des staatlichen Gewaltmonopols hatten eine Stärkung des herrschenden Systems zu
Folge. Diese vor allem in westlichen Gesellschaften wirksame Tabuisierung von
kämpfenden Frauen hat zusammen mit dem Widerstand von Kobane tiefe Risse
bekommen. Die Begrüßung des Widerstands der YPJ’lerinnen von afghanischen
Frauen in Burka ebenso wie deutschen Akademikerinnen kommt einem Aufriss des
Bildes „Frauen stehen für Frieden und dürfen deshalb keine Waffen tragen“
gleich. In diesem Sinne haben die Frauen der YPJ das universelle Recht der
Frauen auf Selbstverteidigung – in welcher Form auch immer – in unseren Köpfen
und Bewusstsein revitalisiert.
Das in der kurdischen Freiheitsbewegung gültige Prinzip der
Selbstverteidigung ist übrigens von Abdullah Öcalan als „Rosen-Theorie“
festgeschrieben worden: „Das Verteidigungsrecht einer jeden gesellschaftlichen
Gruppe ist heilig. Es ist nicht nur ein unabdingbares Recht, gegen Angriffe auf
die Existenz der Gruppe oder mit dieser verbundener Werte eine
Verteidigungskraft darzustellen, sondern darüber hinaus Existenzgrund selbst.
(…) Wenn wir vor Augen halten, dass sich sogar eine Rose als Pflanze mit ihren
Dornen verteidigen möchte, dann möchte ich dieses Demokratische
Autoritätsparadigma als ‚Rosen-Theorie‘ bezeichnen.“ Und: „Wenn es gar
notwendig ist, sich wie ein Rosenstrauch zur Verteidigung seiner wunderschönen
Rosen zu verdornen, dann liegt die Kraft des Sinns vielleicht darin, um der
Verteidigung des grenzenlos schönen freien Menschenleben wegen kämpfen zu
können.“
Dieser Artikel wurde für die aktuelle Ausgabe des Kurdistan Reports verfasst.
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